Nachdem wir die Risikoanalyse im BSI-Standard 200-3 betrachtet haben, können wir nun das Business Continuity Management im BSI-Standard 200-4 vertiefen. Dieser Standard bietet eine umfassende Vorgehensweise zur Bewältigung von Notfällen.
BSI-Standard 200-4: Business Continuity Management – Der Schlüssel zur organisatorischen Resilienz
Warum Business Continuity Management essenziell ist
Die digitale Transformation hat Geschäftsprozesse effizienter und vernetzter gemacht, aber auch neue Risiken mit sich gebracht. Unternehmen und Behörden sind heute mehr denn je von einer stabilen IT-Infrastruktur, reibungslosen Lieferketten und funktionierenden Kommunikationswegen abhängig. Cyberangriffe, Naturkatastrophen, technische Störungen oder Pandemien können dazu führen, dass kritische Geschäftsprozesse unterbrochen werden oder gar zum Stillstand kommen. Die Konsequenzen solcher Ausfälle sind oft gravierend: finanzielle Verluste, Reputationsschäden, rechtliche Konsequenzen und operative Einschränkungen.
Hier setzt das Business Continuity Management (BCM) an, das sicherstellt, dass Organisationen auf Störungen vorbereitet sind und ihre wesentlichen Funktionen auch in Krisenzeiten aufrechterhalten können. Ein professionelles BCM geht weit über einfache Notfallpläne hinaus – es umfasst die präventive Vorbereitung, die systematische Analyse von Risiken, den Aufbau von Notfall- und Wiederanlaufplänen sowie regelmäßige Tests und Anpassungen.
Der BSI-Standard 200-4, entwickelt vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), bietet eine strukturierte und praxisnahe Methodik zur Einführung und Umsetzung eines Business Continuity Management Systems (BCMS). Er beschreibt, wie Organisationen unterschiedlicher Größe und Struktur ihre Krisenresilienz stärken und gleichzeitig regulatorische Anforderungen erfüllen können. Der Standard ersetzt den früheren BSI-Standard 100-4 und orientiert sich an der internationalen Norm ISO 22301:2019, die weltweit als Referenz für BCM gilt.
Business Continuity Management (BCM) im Überblick
Business Continuity Management ist ein kontinuierlicher Prozess, der sicherstellt, dass eine Organisation auch bei schwerwiegenden Störungen weiterarbeiten oder schnellstmöglich wieder handlungsfähig werden kann. BCM konzentriert sich dabei auf folgende Kernfragen:
Welche Geschäftsprozesse sind kritisch für den Betrieb und müssen priorisiert werden?
Welche Risiken bedrohen den kontinuierlichen Betrieb?
Welche Maßnahmen können getroffen werden, um die Auswirkungen eines Vorfalls zu minimieren?
Wie kann die Wiederherstellung nach einem Vorfall effizient und strukturiert erfolgen?
Wie können Notfallpläne regelmäßig getestet und verbessert werden?
Der BSI-Standard 200-4 legt besonderen Wert auf die Integration von BCM in bestehende Managementsysteme, wie z. B. Informationssicherheitsmanagementsysteme (ISMS) nach ISO 27001, IT-Service-Continuity-Management (ITSCM) und Risikomanagementprozesse.
Die drei Stufen des BCM nach BSI-Standard 200-4
Ein wesentliches Merkmal des BSI-Standards 200-4 ist das drei-stufige BCM-Modell, das Unternehmen und Behörden ermöglicht, ihre BCM-Aktivitäten flexibel und ressourcenschonend aufzubauen:
1. Reaktiv-BCMS
- Geeignet für Organisationen, die mit BCM beginnen oder über geringe Ressourcen verfügen.
- Fokus liegt auf der reaktiven Bewältigung von Notfällen, ohne tiefgehende strategische Planung.
- Enthält grundlegende Maßnahmen, um schwere Schäden abzuwenden, jedoch keine umfassende Vorsorgeplanung.
2. Aufbau-BCMS
- Ein systematischer Ansatz für Organisationen, die ein strukturiertes BCM einführen wollen.
- Beinhaltet eine detaillierte Risikoanalyse, eine Business-Impact-Analyse (BIA) sowie erste Notfall- und Wiederanlaufpläne.
- Hilft Organisationen, sich besser auf potenzielle Krisensituationen vorzubereiten und standardisierte Abläufe für den Ernstfall zu etablieren.
3. Standard-BCMS
- Das umfassendste BCM, das sich an internationalen Normen orientiert (ISO 22301).
- Vollständige Integration in andere Managementsysteme (z. B. ISMS, ITSCM).
- Regelmäßige Tests, Optimierungen und Simulationen zur kontinuierlichen Verbesserung des BCM-Prozesses.
Die Wahl der geeigneten BCM-Stufe hängt von der Größe der Organisation, der Branche und den spezifischen Risiken ab, denen sie ausgesetzt ist.
Zentrale Bestandteile eines BCMS

Ein effektives BCMS nach BSI-Standard 200-4 besteht aus mehreren Schlüsselschritten, die einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess gewährleisten:
Business Impact (BIA) - Identifkation geschäftskritischer Prozesse
Die Business Impact Analyse (BIA) ist der zentrale Bestandteil des BCM. Sie dient dazu, geschäftskritische Prozesse zu identifizieren und deren Ausfallrisiko zu bewerten. Dabei werden folgende Aspekte untersucht:
- Welche Prozesse sind essenziell für den Geschäftsbetrieb?
- Welche Systeme, Mitarbeiter und Ressourcen sind für deren Aufrechterhaltung erforderlich?
- Welche Abhängigkeiten bestehen zwischen verschiedenen Geschäftsbereichen?
- Wie lange darf ein Prozess ausfallen, bevor erhebliche Schäden entstehen?
Die BIA bildet die Grundlage für die Entwicklung von Notfallplänen und Wiederanlaufstrategien, da sie klare Prioritäten für die Notfallbewältigung setzt.
Risikoanalyse - Bewertung von Bedrohungen und Schwachstellen
Neben der BIA ist eine umfassende Risikobewertung erforderlich. Dabei werden potenzielle Gefahren für den Geschäftsbetrieb identifiziert und deren Auswirkungen analysiert. Zu den häufigsten Bedrohungen zählen:
- Cyberangriffe (z. B. Ransomware, Datenlecks, DDoS-Angriffe)
- Naturkatastrophen (z. B. Überschwemmungen, Erdbeben, Stürme)
- Technische Ausfälle (z. B. Stromausfälle, Serverausfälle, IT-Fehlfunktionen)
- Menschliche Fehler oder Sabotage
- Lieferkettenunterbrechungen
Anhand dieser Analyse werden gezielte Maßnahmen zur Risikominimierung entwickelt.
Notfall- und Wiederanlaufplanung – Reaktionsmaßnahmen für den Ernstfall
Jedes BCM muss sicherstellen, dass Organisationen auch in Krisensituationen handlungsfähig bleiben. Dazu gehören:
- Sofortmaßnahmen, um Schäden zu begrenzen und das Unternehmen zu stabilisieren.
- Notfallkonzepte, die definieren, wie wichtige Geschäftsprozesse unter erschwerten Bedingungen weitergeführt werden können.
- Wiederherstellungsstrategien, die detailliert beschreiben, wie betroffene Prozesse, IT-Systeme oder Infrastrukturen schnellstmöglich wieder zum Normalbetrieb zurückkehren.
Tests, Schulungen und kontinuierliche Verbesserung
Ein BCM ist nur dann wirksam, wenn es regelmäßig getestet, geschult und optimiert wird. Dazu gehören:
- Krisensimulationen und Stabsübungen, um die Reaktionsfähigkeit zu verbessern.
- Technische Tests, um sicherzustellen, dass Backup-Systeme und Notfallprozesse tatsächlich funktionieren.
- Regelmäßige Schulungen der Mitarbeiter, um sie auf den Ernstfall vorzubereiten.
- Überprüfung und Anpassung der Notfallpläne basierend auf Testergebnissen.
Fazit
Der BSI-Standard 200-4 bietet Organisationen eine praxisorientierte, strukturierte und anpassbare Methodik zur Implementierung eines Business Continuity Management Systems. Unternehmen und Behörden profitieren von einer verbesserten Krisenresistenz, regulatorischer Konformität und höherem Vertrauen seitens Kunden und Partnern.
In Zeiten zunehmender Cyber-Bedrohungen und globaler Unsicherheiten ist ein gut etabliertes BCM nicht nur eine Versicherung gegen Krisen, sondern eine essenzielle Voraussetzung für langfristigen Erfolg und Stabilität. Organisationen, die den BSI-Standard 200-4 konsequent umsetzen, sichern ihre Zukunftsfähigkeit und stärken ihre Widerstandsfähigkeit gegen unvorhersehbare Ereignisse.
Aurea Verebes

Mit dem BSI-Standard 200-4 haben wir die Artikelreihe zu den BSI-Standards abgeschlossen.
Die behandelten Themen – von der Grundabsicherung im BSI-Standard 200-1,
über die IT-Grundschutz-Methodik im BSI-Standard 200-2,
bis hin zur Risikoanalyse im BSI-Standard 200-3
und dem Business Continuity Mangement im BSI-Standard 200-4
bieten eine umfassende Grundlage für ein effektives IT-Sicherheitsmanagement.